Die Piezo-elektrische Fahrtmessung (ehemals akustische Fahrtmessung) soll die direkte und vom Anstellwinkel unabhängige Messung der wahren Fluggeschwindigkeit (True Airspeed) eines Segelflugzeugs ermöglichen. Anwendungsbereiche sind die Untersuchung überzogener Flugzustände, Kalibrierung von Staudruckfahrtmessern oder die Untersuchungen der Flattergeschwindigkeit.

Das Verfahren basiert auf dem Phänomen der Karmanschen Schwingungen: Ein zylinderförmiges Objekt wie ein Draht, das sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit durch Luft bewegt, erfährt eine Schwingung. Diese Bewegung ist nicht chaotisch, sondern entspricht einer charakteristischen Pendelbewegung, die geschwindigkeitsabhängig ist. Mithilfe eines Piezo-Kristalls können diese Impulse in Spannungen umgewandelt und über Fourier-Transformationen auf die Geschwindigkeit der Luft zurückgeführt werden. Bei ersten Flugversuchen wurden schon Erfolge verzeichnet.

Flugversuche mit Messhandschuh

Theorie

Karmansche Wirbelstraßen bilden sich hinter umströmten Körpern, wobei Strömung um einen ortsfesten Zylinder (z.B. ein Draht) den einfachsten Fall darstellt. Ursache der gegenläufigen Wirbel sind Strömungsablösungen, die nur für genügend große Reynoldszahlen auftreten. Die Reynoldszahl setzt Trägheits- und Zähigkeitskräfte ins Verhältnis und hängt von Strömungsgeschwindigkeit, Viskosität und Durchmesser des Körpers ab.

Die Frequenz der periodischen Pendelbewegungen ist von der Reynoldszahl abhängig und wird durch die Strouhal-Zahl beschrieben. Als Näherung für den Reynoldszahlbereich (600 bis 6000) kann die Strouhalzahl als konstant angesehen werden (s. rechts). Der Einsatzbereich des Fahrtmessers ist folglich vom Drahtdurchmesser abhängig und kann entsprechend gewählt werden: Mit Minimalgeschwindigkeit 40 km/h Indicated Airspeed und einem Höhenbereich von 0 bis 3000m, unter Berücksichtigung der dynamischen Viskosität von Luft und unter

Karmansche Schwingungen
Reynoldszahl über Strouhalzahl

 

Bedingungen der Standartatmosphäre eignen sich die handelsüblichen Drahtdurchmesser von 1mm, 2mm und 3mm. Für die Experimente wurde Draht mit 2mm Durchmesser gewählt. Für spätere Untersuchungen, insbesondere zur Messung von Flattergeschwindigkeiten, könnte ein Durchmesser von 1mm ebenfalls sinnvoll sein. Die Drahtlänge hat keinen Einfluss auf die Frequenz, wirkt sich aber auf die Intensität des Signals aus. Da die True Airspeed für die Messung entscheidend ist, muss zusätzlich die Luftdichte durch Druck- und Temperaturmessung bestimmt werden.

Akustische Fahrtmessung

Die ersten praktischen Versuche wurden auf dem Sommertreffen 2021 durchgeführt, die Frequenz der Karmanschen Wirbel wurde hier über den Hiebton gemessen. Der Versuchsaufbau (rechts) besteht aus einer Stützvorrichtung und einem Mikrofon, die auf einer Holplatte fest montiert sind. Auf einem Autodach konnten so mit Gegen- und Rückenwind verschiedene Geschwindigkeiten erprobt und eine geeignete Messkonfiguration bestimmt werden.

Ein handelsübliches Mikrofon wurde möglichst hoch (41cm) über der Holzplatte befestigt, um die Strömungseinflüsse des Autos zu minimieren. Die Stützstruktur soll eine ausreichende Saitenspannung der Drähte gewährleisten und wurde so konstruiert, dass dessen eigene Ablösungen keine Töne erzeugen, die im für die Geschwindigkeitsmessung relevanten Frequenzbereich liegen, um die Messungen nicht zu verfälschen.

Bei dem Versuch wurden Mikrofonabstand, Drahtlänge, -anzahl und Abstand der Drähte untereinander variiert, um die Konfiguration der größten Messschärfe zu ermitteln. Im Anschluss konnten mit einem festen Messaufbau akustische Spektrogramme erstellt werden. Die akustischen Signale sind in Spektrogrammen (oben) deutlich erkennbar. Dabei zeigt die rechte Abbildung, dass der Hiebton erst ab einer gewissen Mindestgeschwindigkeit messbar ist. Wie erwartet nimmt die Frequenz und Lautstärke mit steigender Geschwindigkeit zu.

akustische fahrtmessung sotre 21
Versuchsaufbau auf dem Sommertreffen 2021
80 km/h, Gegenwind
80 km/h, Rückenwind
0 bis 120 km/h, Rückenwind

Die linken Abbildungen wurden mit einer Fahrtgeschwindigkeit von 80 km/h bei einer Windgeschwindigkeit von ca. 16 km/h aufgezeichnet, d.h. das Spektogramm des Gegenwindversuchs sollte eine Gesamtgeschwindigkeit von 96 km/h widerspiegeln. Die Tonfrequenz von ca. 3,1 kHz, wie sie in der Abbildung erkennbar ist, deutet auf eine Geschwindigkeit von ca. 106 km/h hin. Bei dem Rückenwindversuch wurde ein Ton bei ca. 2 kHz gemessen, was umgerechnet ca. 68 km/h entspricht. Die Gesamtgeschwindigkeit betrug 64 km/h. Die Abweichungen lassen sich größtenteils auf Messungenauigkeiten der Fahrt- und Windgeschwindigkeit zurückführen.

Piezo-elektrische Fahrtmessung

Die piezo-elektrische Fahrtmessung basiert auf demselben physikalischen Phänomen. Der Unterschied besteht in der Messmethode: anstatt den Hiebton aufzunehmen, werden mithilfe eines Piezokristalls die mechanischen Schwingungen des Drahtes in messbare Spannungen umgewandelt. Diese entstehen durch periodisch wechselseitige Kräfte, die von den Karmanschen Wirbelstraßen verursacht werden.

Im Piezokristall sind Ionen, d.h. positive und negative Ladungen. Sie sind derart angeordnet, dass sich die Ladungsschwerpunkte im Mittelpunkt des Kristalls befinden, solange der Kristall nicht verformt wird oder anderen Spannungen ausgesetzt ist. Wirkt eine Kraft, wie die Schwingungen eines Drahtes, auf den Kristall, werden die Ladungen und Ladungsschwerpunkte verschoben. Sobald sich der positive und negative Ladungsschwerpunkt trennen, erzeugen sie eine Ladungsdifferenz, d.h. es entsteht eine messbare Spannung. So werden die periodischen Bewegungen vom Piezokristall in Spannungen umgewandelt. Andersherum könnte auch eine von außen angelegte Spannung den Kristall verformen.

Windkanal

Aufbauend auf den bereits gewonnenen Erkenntnissen wurden Windkanalversuche durchgeführt, um den Zusammenhang von Frequenz und Geschwindigkeit zu validieren und die Prototypenkonstruktion der Piezohalterung und Drahtaufnahme zu prüfen.

Der Windkanal bietet einige Vorteile gegenüber der Messung auf dem Autodach. Durch das Wegfallen der Störeinflüsse von Windböen, sowie der Umströmung des Autos und dessen Antriebsgeräusche wird die Messqualität verbessert. Außerdem ermöglicht die genauere Geschwindigkeitskontrolle eine Kalibrierung der Messanlage. Hierzu wurden verschiedene Geschwindigkeiten eingestellt und mit dem Oszilloskop die Frequenzspektren des Spannungssignals der Piezoscheibe untersucht (s. links). Bei erfolgreichen Prototypen war es so möglich über einen Frequenzpeak auf die Windkanalgeschwindigkeit zurück zu schließen. Dies funktionierte auch bei Veränderung der Geschwindigkeit. In Vorbereitung auf die Flugversuche wurde das gesamte Setup des Messhandschuhs überprüft.

Flugversuche vom 10. Juli 2022

Um den Piezokristall in die Luft zu bringen, wurde als erstes die Zulassung eines Messhandschuhs erweitert, sodass wir die Experimente auf unserem Twin „CF“ fliegen konnten. Am Messhandschuh wurde eine Lanze befestigt, die den Messdraht mit der Piezoscheibe mit möglichst großem Abstand vor dem Flügel platzierte. Außerdem waren Messgeräte zur Bestimmung von Temperatur, Differenzdruck und statischem Druck untergebracht. Die per Flugzeugbatterie betrieben Sensoren waren an die Messkarte angeschlossen, sodass die Daten direkt per USB-Kabel an unser Auswertungsprogramm gesendet wurden. Im Flug war es dem Besatzungsmitglied in Echtzeit möglich die Geschwindigkeit mitzuverfolgen.

In den Flugversuchen wurden verschiedene Geschwindigkeiten (80 bis 150 km/h in 10 km/h Schritten) aus dem Windenstart erflogen und für jeweils 10 Sekunden konstant gehalten. Zur Bestimmung der Trägheit des Systems wurden verschiedene Beschleunigungen getestet. Hier ein Artikel zu den Flugversuchen. Die Auswertung folgt.