Der Hertellehrgang 2011 ist, dank einer tollen Mannschaft von Akafliegern, engagierten Fluglehrern und motivierten Teilnehmern erfolgreich mit vielen Freiflügen zu Ende gegangen. Ingo beschreibt seine Eindrücke aus Sicht eines Teilnehmers in gewohnter poetisch Manier:
Berlin, Dienstag, 48 Stunden nach dem Tag X, ich habe “Heimarbeit” eingetragen, so kann ich zwischen den Versuchen, Kelvin-Helmholtz Strukturen über überströmtem Bewuchs nachzuweisen, ununterbrochen raus in den Himmel überm Görlitzer Park glotzen und Wolken beobachten.
Die Nacht war lang, nicht lang genug, wenn man sie die ganze Zeit auf dem Flugplatz verbracht hat, und den letzten Start gerade so vor Sonnenaufgang und Weckerklingeln noch runtergebracht hat. Langes Frühstück, Kaffee, den ich lästig selbst machen muss, Brötchen, die noch beim Kiosk liegen und nicht reichlich und im Korb auf meinem Tisch. Musikkonserve statt Wetterbericht, warum hatte ich heute Lust auf Tom Petty, „learning to fly but I ain’t got wings?“ Cheesy !
Die Frage danach und die Antwort darauf führt überraschenderweise zu einem Ort, den ich zuvor nie gehört hatte, Kammermark. Irgendwo süd-westlich der Müritz, vom „Müritzsee“, wie die Zugezogenen sagen. Dort sitzt die Akaflieg Berlin. Dort findet jährlich der Hertellehrgang statt, zwei Wochen Segelflug für Anfänger kompakt. Es ist 2011, ich bin durch mit Berlin, den Krähen im Park, dem Lärm von auf Kopfsteinplaster fahrenden Autos und besoffenen Erasmusstudenten, die die Kneipe Edelweiß gegenüber ausspuckt; ab nachts um drei. Und dann noch die schicken Zugereisten, die lässig mit ner Flasche Bier in der Hand so wirken wollen, als würde ihnen die Welt gehört. Nee, ich hab genug, ich muss raus.
Freitag Abend noch schnell packen, den letzten Freunden auf ner Party in Berlin-Wedding zuprosten, fünf Stunden schlafen, raus und vor Sonnenaufgang Richtung Kammermark gefahren werden. Ein pünktliches Eintreffen macht uns sofort mit den Routinen der kommenden 14 Tage vertraut. Kaffee, Brötchen, Aufstriche und Beläge, Übergang von Morgenmuffligkeit zu diffuser Vorfreude, und dann der Wetterbericht vom dienstältesten Fluglehrer „vdH“ mit Beamer, bei dem man zum ersten Mal denkt: „Man, haben die anderen alle gute Augen, Fliegeraugen!“ Kurze Vorbesprechung im Klassenzimmer, die Haspelwortabfolge Abflug, Querabflug, Gegenanflug, Queranflug, Landeanflug, die bis zum Ende nicht sitzt.
Heute hallen noch die Akaflieger für uns aus, die Flugzeuge, den Startwagen und die ominöse Winde, die hier und da immer wieder ehrwürdig und von den offensichtlich Eingeweihten mit leuchtenden Augen angesprochen wird – wir tackeln hinterher. Da ist der Platz, alles neu, alles einprägen. Das Gehirn aber schon voll, all die Hebel und Knöpfe und Fehler! Und dann stehen wir in kleinen Gruppen vor den Flugzeugen und die Aufteilung ist irgendwie passiert, je sieben auf ein Flugzeug und zwei Lehrer dazu. Obwohl ich zuerst die gerade Tragflächenvorderkante der „Indiana“ (Twin II, CI) anziehend finde, lande ich bei der „Tango“ (Twin III, CT). Ich darf direkt einsteigen und beim Vorflugcheck helfen, was irgendwie auch hilft und eine erste Sicherheit vermittelt – aha, der Knüppel! Wir überlegen kurz wer die ersten Schulungsflüge macht, ein kurzes Durcheinander und irgendjemand plärrt raus „wir machen das der Größe nach, wegen der Pedalverstellung!“. Der Größe nach bedeutet: Vinzenz, Uwe, Robert, Marc, Ingo, Mario und Julian. Uff, nicht als erster. Es dauert noch eine Weile alle Namen parat zu haben aber trotzdem irgendwie schneller als auf der Party. Vielleicht weil es weniger sonst zu denken gibt, weil die Landschaft und Himmel so weit sind, oder weil wir wissen, dass wir jetzt unter Gedeih und Verderb voneinander abhängig sind; im Anschiss der Fluglehrer und Akaflieger, im Kummet als Schleppvieh, beim Abspülen nach Gemeinschaftsküche.
Und dann irgendwann ist es soweit, der erste Flug. Der Windenschlepp treibt noch ordentlich den Puls hoch, die Luft aus den Lungen. Holla. Trotzdem ist es irgendwie sofort urgemütlich in der Kabine, muckelig, warm und überraschenderweise sicher – wozu, teils unbestreitbar, die Präsenz des Fluglehrers beiträgt. Das Gehirn schaltet auf Aufnahme, aber viel von dem was passiert, landet erstmal auf der Festplatte und wird später irgendwann mal aufgearbeitet. Wir haben Glück und ein bisschen Thermik und können kreisen. Die Charly Indiana ist im gleichen Bart, fliegt gegenüber und da ist er schon, der Traum, der einfach mal eben so wahr geworden ist. Wie die Flugzeugnase schön am Horizont roulettiert und die Landschaft wie auf einem Plattenteller ebenmäßig von links nach rechts in Blick kommt und wieder verschwindet. Wundervoll! Da sind auch schon die ersten Bussarde. Zusammen mit den Milanen werden sie uns immer wieder kritisch beäugen und den fliegerischen Dilettantismus der weißen und bewegungsfaulen Großvogelattrappe wohl kaum begreifen können. Trotzdem sind sie da und ich freue mich immer wieder über ihre verspielte Neugier, auf die Begegnungen auf Augenhöhe. Und dann natürlich noch die Landung, wie Fahrstuhlfahren. Spaß!
Zwischen den großen Momenten gibt’s die kleinen, am Boden, die Blödeleien mit den anderen, die uns immer wieder Vergnügen bereiten und die einschleichende Routine und Eintönigkeit („da kommt die Charly Tango“) durchbrechen. Die ganzen zwei Wochen schieben wir eigentlich immer die ganze Crew zurück zum Start und auch immer mindestens einer der Jungs hilft beim Gurte rausfriemeln und Fallschirm anlegen. Call it Kameradschaft, nicht erwartet, einfach da und einfach schön. Dann natürlich die kulinarische Versorgung: Mittag und Kaffee und sogar der Pflaumenkuchen mit Pflaumen aus dem kammermärker Garten. Schnell ist klar, daß das System Kammermark eigentlich viel mehr ist als dem Flugschein hinterher hecheln. Die Vision vom Leben auf dem Land, oder, wie wir später immer wieder bemerken müssen, von einem gut funktionierenden Männerkloster.
Die zwei Wochen vergehen sehr schnell, die wenigen Tage Regen verbringen wir Karauschen angelnd am Teich, bei Küchenvorbereitungen und anderem mehr. Schlimm sind die windigen Tage, als nichts mehr gelingen mag und uns Thorsten mit seinem unglaublich frühen Alleinflug nervt. Oft denke ich danach noch, man hätte stärker zuhauen sollen. Und obwohl alles gar nicht sooo gut aussieht bis kurz vor knapp, schaffe ich es in der kurzen Wolkenlücke am Abreisesonntag auch noch mich frei zufliegen und darf neben Remo als zweiter über Dreißig alleine ohne Fluglehrer fliegen. Die zwei Wochen werde ich nie vergessen und viel mehr als nur Fliegen bleibt im Gedächtnis zurück. Danke an alle, die dabei waren. We shared a common dream.
p.s.: ja und wie war das Fliegen selbst? Ich versuch es mal so:
alleinflug (1)
und dann still
unter der haube
bilder von hängenden flächen
und hakenden gräsern
reißenden seilen
luftraum über der winde frei
und dann kamen die kraniche
sieben von rechts
quer über die bahn
die warte ich aber noch ab
und ich weiß
es wird gehen
daumen raus
wolfgang hält die fläche
winde zieht an
seitenruder
wieder zu wenig
und hoch
seilriss ?
seilriss ?
seilriss ?
2- 3- 4- 5 jetzt schon
verkürzte platzrunde ?
aber kein plink
seilzug lässt nach
langsam drücken
so einfach
tangens hyperbolicus
warum schnalle ichs
jetzt erst ?
und dann klönk
raus
und frei
frei
richtung windfeld
sha la la laa
alles gehört dir
rechtskurve vom platz weg
nordrunde
es kreist
knüppel vor
wegen allein und gelbes dreieck
hallo faden
wieso bist du jetzt
wo es keiner sieht
außer mir
immer so fröhlich in der mitte?
kurven
kreisen
horizontroulette
luftraumkontrolle
nicht vergessen, träumer
etwas thermik
hier über dem hof
verliere nichts
nichts verloren
kreisen nochmal
und nochmal
was macht die india?
charly tango
position nord
fahrt einstellen
platz beobachten
Lande-T
baumgrenze peilen
queranflug
gucken gucken gucken
jetzt
und da ist der platz
klappen raus
und fahrstuhl nach unten
vorhalten
keine panik schnauze links
ich schwebe
wir
bäume drüber
boden näher
Lande-T hallo
abfangen
ziehen einschwofen
halten jetzt
ganz
seitenruder grade drücken
ist das einfach
knorrrzzz kwääääts
hallo alte kugel
rollen flächen haltend
bremsen
ablegen
und dann ganz still
wärme durch die haube
auf der haut
wolfgang funkt
besser gehts nich
verstanden
verständigung unendlich
und da ist
das glück
die jungs kommen
die haube auf
so viel sagen wollen
so wenig worte jetzt
aber ich weiß ja
daß sie wissen
(Ingo S., Hertelteilnehmer 2011)